Texte/Franz Schuh: Raumfahrt

Franz Schuh

Raumfahrt

Die Urbanität einer Stadt besteht darin, dass sie ein Areal von Möglichkeiten darstellt: Man geht um die Ecke, und schon ist alles anders. Manchmal ist es so sehr anders, dass man es nicht für möglich gehalten hätte. Im Übrigen ist keine Stadt ausschließlich urban. Städter haben auch Lust, ihre Stadt zu verdörflichen, also in der Stadt Ruhepunkte zu finden, wo sie nicht überrascht werden, wo alles gleich überschaubar erscheint. Eine Stadt kann man also nicht zuletzt aus der Perspektive beobachten, wie in ihr statische und wechselhafte Momente ausbalanciert sind (ob das Statische vorherrscht oder ob der Wechsel außer Kontrolle gerät).

In dieser Hinsicht spielen Plätze eine große Rolle: Auf Plätzen herrscht Trubel, immer andere Menschen überqueren sie, aber oft auch dieselben, die wiederkehren, weil sie am selben Ort zu tun haben. Auf Plätzen scheint – beinahe wie auf dem Dorfplatz – das Leben übersichtlich.

Es ist klar, dass Urbanität hilft, den Sinn für Möglichkeiten zu entwickeln, und es liegt auch die Behauptung nahe, dass das städtische Leben Sichtweisen fördert, die in moderner Kunst eine ihrer Anwendungen haben. Eine Stadt besteht nicht nur aus sich selbst; es gehören zu einer Stadt auch die Bilder, die von ihr entworfen werden. In diesem Sinne sehe ich die Videoinstallation von Beatrix Bakondy: Ein Platz in der Stadt wird nicht bloß abgebildet, sondern die Abbildung wird verändert, sodass derselbe Platz zu einem anderen, zu einem möglichen Platz wird. Die Videotechnik macht es möglich, dass der auf der Grundlage des „echten“ Platzes erfundene mögliche Platz an Ort und Stelle gezeigt wird: Die Erfindung wird in den ursprünglichen Platz zurückprojiziert, und so ist sie vorübergehend, solange die Kunst am Platz ist, ein Teil der Wirklichkeit dieser Stadt.