Texte/Andreas Krištof: Raumpolitik – Zur Arbeit von Beatrix Bakondy

Andreas Krištof

Raumpolitik

Zur Arbeit von Beatrix Bakondy

 

Beatrix Bakondy beschäftigt sich mit Raum. So simpel der Einleitungssatz zu dem Essay über Beatrix Bakondys künstlerische Arbeit klingt, so komplex ist die künstlerische Behauptung, die dem zugrunde liegt. Im Angesicht der Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit der räumlichen Bezüge in ihrer Arbeit lohnt es sich, über einige der grundlegenden Bezugs- und Verhältnissysteme einer sogenannten Raumtheorie nachzudenken. Es gibt selten so ausgeprägte und klar formulierte Arbeiten, die dies mit dieser Konsequenz tun und daher diesen Denkraum erst möglich machen. Vorauszuschicken gilt es, dass die Relevanz der Arbeit im Kontext des Diskurses über das problematisierte Verhältnis von materieller und immaterieller Kunst in Zeiten einer stark medialisierten Gesellschaft passiert und dieser Kontext dementsprechend für die Auseinandersetzung mit Beatrix Bakondys künstlerischen Strategien und Methoden ein wichtiges Tableau bildet.

Viel wurde über die Bedeutung des Raumes im Zusammenhang mit der bildenden Kunst geschrieben, und viel ist in die Kunstproduktion des 20. und 21. Jahrhunderts eingeflossen. Das explizite Mitdenken des Raumes in Bezug auf die jeweilige künstlerische Arbeit trug dazu bei, den Autonomiestatus von Kunst und die Definition von Kunst darüber zu relativieren. Der erweiterte Begriff des „Kontextes“ als eines raumbestimmenden Parameters verdeutlichte und fundamentierte dieses problematisierte Verhältnis.

Die Begrenzung sei der wahre Protagonist des Raumes, meinte der spanische Künstler Eduardo Chillida und traf damit einen zentralen Punkt in der Auseinandersetzung mit dieser Thematik.1 Bereits Immanuel Kant sprach bei seinem Versuch, eine gültige Definition eines Raumbegriffs zu finden – wobei er, dem euklidischen Bild folgend, von nicht mehr als drei Abmessungen im Raum ausging –, von einer weiteren Wahrnehmungskomponente, die er lapidar mit „und so weiter“ bezeichnete, darunter aber nicht mehr und nicht weniger als die subjektive Wahrnehmung selbst verstand.#2# Neben den kulturell und individuell determinierten Definitionen von Raum ist vor allem das Subjekt-Objekt-Verhältnis bestimmender Faktor in der Wahrnehmung und Beschreibung von Raum. Mit dem Diskurs der Postmoderne und der Einführung des Begriffs „Kontingenz“, der letztlich ein sich ständiges Ändern der Verhältnismäßigkeiten beschreibt – aber nicht im Sinne eines postmodernistischen „anything goes“, sondern definierten Gesetzmäßigkeiten folgend –, ist auch das Subjekt-Objekt-Verhältnis kein festgeschriebenes mehr, und somit sind auch die Festlegung und die Beschreibung von Raumverhältnissen fluid.

Die kulturelle Konditionierung des Betrachters spielt also eine wesentliche Rolle in diesem Beziehungsgefüge und stellt wohl auch die veränderlichste Komponente dar. Beatrix Bakondys Arbeit ist ein ständiges Spiel mit und in diesem Gefüge, wobei der äußerliche Blick selbst bildkonstituierend miteinbezogen wird. Ihre gesamte Arbeit ist in einer bestimmten räumlichen Stringenz lesbar, weniger im Sinne einer chronologischen Abfolge denn als Veranschaulichung der unterschiedlichen Raumrelationen und der Beziehungen dieser zueinander.

Das Abtasten, Vermessen und Ausloten konkreter architektonischer Räume und Baukörper mit den erweiterten Mitteln der Zeichnung, Fotografie und Installation sind die grundlegenden Instrumente dafür. Ihre raumkonstruierenden Zeichnungen, Möglichkeiten genannt, sind nicht nur Überschreitungen klassischer Bildformate, sie verwenden die weiße Wand als bildbestimmenden Teil der Arbeit und integrieren mit Selbstverständlichkeit konstruktive Elemente wie zum Beispiel das Medium der Architekturzeichnung. Sie konfrontieren den Betrachter mit architektonischen Raumsituationen, die nur auf den ersten Blick objektiv erfassbar sind. Sie sind – trotz ihrer durch den Schwarz-Weiß-Effekt erzielten Präsenz – lediglich Fragmente von Raum, sind im besten Sinn Überlagerungen und Durchdringungen von zeichnerischem und realem Raum und stellen Übergangsobjekte vom zwei- in den dreidimensionalen Raum und umgekehrt dar. In ihrer geometrischen Strenge und letztlich konsequenten Entbindung von architektonischen oder funktionalen Bedeutungszusammenhängen gemahnen sie an die Utopien der klassischen Avantgarden.

Man kann sich generell nicht des Eindrucks erwehren, dass Beatrix Bakondy die Methode des Sezierens kultiviert und geradezu perfektioniert, um bestimmten räumlichen Konstellationen auf die Spur zu kommen. Nicht anders ist zu erklären, warum sonst sie in der Serie Greifen dem Zwischenraum der Handinnenfläche und den von der Hand gehaltenen, abgetasteten und umfassten Objekten visuellen Raum gibt oder warum sie in der Serie Aerosole alltäglichen Gegenständen durch Übersprayen mit schwarzer Farbe vor einem Bildträger zu einer dauerhaften, schematischen und durch die Löschung der üblichen Insignien wie Farbe, Produktlogos und anderer Informationen zu einer überphysischen und dadurch allgemeingültigen Präsenz verhilft. Von der klaren Überzeugung getragen, dass über das Vehikel Kunst auch unsichtbare Raumverhältnisse artikulierbar und darstellbar sind, ist die Foto- und Videoarbeit Raumfragen bestimmt. Der physische Raum erfährt eine Übersetzung ins Medium der Fotografie, welche wiederum zum Ausgangspunkt für eine Videoarbeit wird. Durch die Verschränkung der Medien behauptet sich unmittelbar ein scheinbar nicht existenter Raum.

Das Befragen von Raumordnungen führt die Künstlerin auch konsequent im dreidimensionalen Raum fort. Gleichgewicht und Bodenhaftung, Stabilität und Instabilität – alles skulpturale Bedingungen – spielen in ihren Installationen Hülsenund Raumerinnerung eine zentrale Rolle. Die Funktion und die Wirkung von Skulptur im Raum erfahren eine Koppelung mit konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, wodurch sich eine weitere Raumkonstellation eröffnet, nämlich die des politischen Raums und der Relevanz von Kunst in diesem und für diesen. Ihre Installation Raumerinnerung stellt eine Porträtserie von Asylwerbern dar, auf- und abgenommen in einem Kirchenraum, der in diesem Fall als Synonym für das soziale Engagement einer kirchlichen und somit nicht staatlichen Institution steht. Die Arbeit evoziert einen instabilen Zustand, der den Betrachter mit einer Welt im Umbruch, veränderlich und bedrohlich, konfrontiert. Migration wird als universelle Erfahrung und als Fortschreibung einer kolonialen Ordnung beschrieben. Niklas Luhmann definiert in seinem 1997 erschienenen Buch Die Gesellschaft der Gesellschaft das Verhältnis von Inklusion und Exklusion und kommt zum Schluss, dass Exklusion viel stärker integriere als Inklusion, fügt aber sehr eindeutig und bezeichnend hinzu, dass „im Inklusionsbereich Menschen als Person zählen, während es im Exklusionsbereich fast nur auf ihre Körper anzukommen scheint“.3 Exklusionen aus ethischen, religiösen, ideologischen, ökonomischen, politischen Gründen sind nach wie vor dominierende Strategien der westlichen, kapitalistischen Welt. Der Raum der Installation verkettet sich hier mit dem Raum realer und somit politischer Gesellschaftsordnungen. Die Installation inkludiert formal einen Zustand der gesellschaftlichen Exklusion. Dabei reflektiert die Arbeit aber auch über die Ästhetik des Verschwindens und hält zugleich einen Zustand aufrecht, der in dieser Form nicht mehr existent ist. Wie konstituiert sich Identität, welchen Stellenwert nimmt der Aspekt von Äußerlichkeit ein, damit einhergehend das Beziehungsgefüge von Hülle (Form) und Inhalt, und wie stark ist dabei die Wirkung der eigenen Erinnerung? Wie zur Untermauerung dieser Fragestellungen und offenen Verhältnismäßigkeiten übersetzt Beatrix Bakondy die Installation in das Medium der Fotografie und transportiert damit nicht nur ihre skulpturalen Anliegen, sondern entzeitlicht geradezu das flüchtige Ereignis selbst.

Mit einer verwandten Methode, allerdings umgelegt auf das Medium Video, sorgt Beatrix Bakondy in der Arbeit Spiegel Strobl für die visuelle Sichtbarmachung eines in der österreichischen Geschichte mehrfach tabuisierten Themas – nämlich nicht nur des Widerstandes, sondern vor allem des weiblichen Widerstandes gegen das NS-Regime. Ort der Handlung ist das Salzkammergut. Landschaftsaufnahmen überlagern sich mit dem Schattenumriss einer weiblichen Figur, in der sich wiederum die gefilmte Landschaft zeitversetzt spiegelt, wodurch die Figur erst sichtbar wird. Auf subtile Art und Weise schafft die Künstlerin eine Form von visuellem Gedächtnisraum ohne Pathos für die auf der Schattenseite der Geschichte stehenden Widerstandsprotagonistinnen. Form, Inhalt und verwendetes Medium korrespondieren dahin gehend, dass sie eine Balance von Präsenz und Absenz herstellen, ohne die vorhandene Fragilität des gesellschaftlichen Stellenwerts des Themas zu negieren. Deutlich wird, dass Raum nicht selbstverständlich vorhanden ist, vielmehr erst über komplexe Konstituierungsprozesse entsteht und demnach bewusst gemacht beziehungsweise bewusst nicht gemacht ist und somit auch immer ein politischer Akt ist.

Beatrix Bakondys Beschäftigung mit Raum und räumlichen Konstellationen ist sehr stark getragen von diesem Interesse an einer gesellschaftlichen Verortung von Kunst. Um mit Pierre Huyghe zu sprechen: “I am interested in constructing situations that take place within reality […]. I focus on something that is not played, but which exists in itself. I seek not to identify the relationship between subjects, but to invent initial conditions that lead to permeability. What interests me is intensifying a presence, giving it its own presentation, its own appearance and its own life, rather than subjecting it to pre-established models.”4

Anmerkungen:

1 Vgl. Christian Knechtl, „Der nicht digitale virtuelle Raum“, in: Ausst.-Kat. INNENaussenINNEN, Kunstraum Niederösterreich, Wien, 2013, S. 26.

2 Vgl. Stephan Günzel, „Einleitung“, in: ders. (Hg.), Raumwissenschaften, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2008, S. 8.

3 Niklas Luhmann, zit. n. Peter Weibel, „Vorwort“, in: ders., Slavoj Žižek (Hg.),
Inklusion : Exklusion. Probleme des Postkolonialismus und der globalen Migration, Wien: Passagen Verlag, 2010, S. 12.

4 Pierre Huyghe, Pressetext Centre Pompidou, 2013, zit. n. Kunstforum International, 229 (2014), S. 84.